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VORWORT
Essen und Trinken spielen in der Geschichte der
Menschheit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es waren immer
auch die großen Festmähler der Fürsten und Könige,
die den Gang der Dinge mitbestimmten. Oftmals ist das Gastmahl die
einzige Gelegenheit des gegenseitigen Sich-Kennenlernens, und somit
die geschickte Verteilung von Einladungen und Sitzplätzen
seitens des Gastgebers eine interessante Quelle allgemeiner
Einflußnahme, denn, wenn auch sonst vielleicht nicht viel
hängenbleibt, so erinnern wir uns in der Regel genau, wo wir gut
bewirtet wurden. Aus dieser Tatsache heraus erklärt sich
natürlich leicht, daß Kochbücher immer zu den
Verkaufsschlagern auf dem Buchsektor zählten, obwohl es sich
hierbei selten um Literatur im eigentlichen Sinne handelt. Und doch
gibt es Werke unter den Kochbüchern, die durchaus für sich
beanspruchen können, zur Literatur gezählt zu werden. Ich
möchte hier nur an den Klassiker der italienischen Küche
erinnern, nämlich an "La scienza in cucina e l'arte di
mangiar bene" von Pellegrino Artusi. Kochbücher
gehören auch heute zu den Büchern, die in keinem Haushalt
fehlen dürfen.
Gerade in den letzten Jahren ist uns immer öfter
der Blick in die Kochtöpfe unserer Prominenten vergönnt:
kaum jemand, der nicht bereits ein Kochbuch mit seinen
Lieblingsrezepten veröffentlicht hätte. Auch in Antike und
Mittelalter interessierten sich Biographen und Chronisten für
die Lieblingsspeisen ihrer "Opfer". So erfahren wir in
Einhards Vita Caroli Magni, daß Spießbraten
zu den Lieblingsspeisen Karls des Großen zählte.
APICIUS
Apicius gehörte seiner Zeit selbst zur "High
Society", berühmt durch von ihm veranstalteten
extravaganten Feste, bei denen er sein Vermögen verschleuderte.
Als dann nicht mehr genug übrig war, um seinen Lebensstil zu
halten, begang er Selbstmord. Dies erfahren wir von Seneca (De
consolatione, ad Helviam X,8+9) und - in Kurzform - von Martial.
Bei Apicius sind wir in der glücklichen Lage, einerseits von
Plinius einiges über die von ihm kreierten Speisen zu erfahren
und andrerseits sein eigenes Werk De Re Coquinaria, zwar in
sicherlich stark veränderter Form, jedoch mehr oder weniger
vollständig, in Händen zu halten.
Um die Wirkung der apicianischen Kochkunst auf seine
und spätere Zeiten zu fassen, müssen wir nicht weit gehen:
das sicher bekannteste Beispiel ist das "iecur ficatum",
das sich in allen romanischen Sprachen als "Leber" erhalten
hat, obwohl wir hier - trotz der Versicherung des Plinius (nat. hist.
8,209,4) - nicht ganz sicher sein können, daß die Idee
dazu wirklich alleine von Apicius stammt. Gleichwohl steht es
stellvertretend für den Stil der damaligen "haute cuisine".
Eine andere lesenswerte Quelle zu diesem Thema sind die Epigramme
Martials, in denen wir einige scharfzüngig formulierte
Kurzbeschreibungen der vom römischen Geldadel veranstalteten
Parties und der bei diesen Gelegenheiten servierten Gerichten finden.
Der Schlemmer und Gourmet Apicius war natürlich auch dem Martial
ein sehr lebendiger Begriff (2,69). Schauen wir durch Martials Augen
auf die Tafeln seiner Gastgeber, so entdecken wir dort Austern und
Miesmuscheln, Champignons, Schollen, Steinbutt (rhombus) und
Meerbarbe (mullus), Lattich (Salat), Euter, Wildschwein und
Hasen. Alles Dinge, zu denen auch Apicius einiges zu sagen wußte.
Als weitere, einigermaßen zeitgenössische
Quelle haben wir zu Apicius die Naturalis Historia von Plinius
dem Älteren. Hier findet sich eine Reihe interessanter Hinweise
auch in bezug auf die direkten Nachwirkungen der apicianischen
Kochkunst, denn es ist recht unwahrscheinlich, daß Plinius den
Apicius noch persönlich gekannt und erlebt hat. Insofern muß
er sein Wissen aus anderen Quellen - vielleicht aus einer ersten
Ausgabe von De Re Coquinaria - bezogen haben. Als Erfindungen
des Apicius erwähnt Plinius die Zubereitung von Flamingozungen
und das schon erwähnte Mästen von Schweinen mit Feigen
(8,209,4; 9,66,4; 10,133,1), um der Leber einen besonderen Geschmack
zu geben. An anderer Stelle zitiert Plinius den Apicius, der
Meerbarben in garum geschlachtet und aus deren Leber allec
- eine spezielle Fischsauce - zubereitet haben soll. Außerdem
soll Apicius für die "coctura Apiciana" (das Kochen
von grünem Gemüse mit Öl und Salz, 19,143,6)
verantwortlich sein, die wir - ebenso wie einige Rezepte für
cyma (Broccoli?), den er laut Plinius nicht geschätzt haben soll
- tatsächlich in einem Rezept für die Zubereitung von Lauch
im dritten Buch von De Re Coquinaria finden.
PETRONIUS
Interessant sind die Ähnlichkeiten einiger
Gerichte aus Petrons cena Trimalchionis mit Rezepten aus De
Re Coquinaria des Apicius. Zu einigen Gerichten aus der cena
Trimalchionis finden wir bei Apicius echte Entsprechungen. Es ist
allerdings so, daß Trimalchio mit der eigentlichen Kochkunst
des Apicius wenig anzufangen wußte. Vielmehr kommt es ihm vor
allem darauf an, die Gäste mit mehr oder weniger gelungenen
Einlagen zu überraschen und zu verblüffen.
Schauen wir uns nun die von Trimalchio servierten
"Köstlichkeiten" etwas näher an:
Die Vorspeise besteht aus Oliven, Haselmäusen,
die mit Honig und Mohn bestreut sind, Würstchen sowie syrischen
Pflaumen mit Granatapfelkernen (31,9). Danach werden gebackene
Feigendrosseln (ficedulae) gereicht (33,8). Der nächste
Gang (35-36) - versteckt unter einem Tablett, auf das nach den
Tierkreiszeichen die dazu "passenden" Speisen verteilt
waren - besteht aus Masthühnern, Euter (sumen), einem Hasen und
Fischen in gepfeffertem garum. Zwischendurch wird mulsum,
der römische Honigwein, dann Wein aufgetischt. Der folgende Gang
gehört bereits zum Hauptgericht und besteht aus einem
Wildschwein, das von Datteln flankiert wird und aus dem nach dem
Aufschneiden Drosseln herausfliegen (40,3) - es kann sich also kaum
um eine warme Speise gehandelt haben. Das Hauptgericht aber ist ein
großes mit Würsten gefülltes Schwein. Zu diesem und
zu dem vorhergehenden Wildschwein müßte uns sofort das
Gartenspanferkel des Apicius (8,7,14) einfallen, dessen Füllung
aus Wachteln, Drosseln, lukanischen Würstchen, Datteln,
Zwiebeln, Schnecken und noch einer Vielzahl anderer Zutaten besteht.
Apicius hat natürlich auch Rezepte für Euter (sumen),
Haselmäuse (glires), Hasen (lepores) und Wildschwein (apri) im
Programm. All dies findet sich interessanterweise im Buch 7 "Der
Feinschmecker". Wir sollten jedoch für den Augenblick bei
Trimalchios täglicher Hausparty noch bis zum Ende verweilen:
Nach dem gefüllten Schwein wurden - in gebührendem Abstand
- einige mit Safran gefüllte, aber wohl eher ungenießbare,
Küchlein aufgetischt (60,6), die einige Gäste für
Opfergaben hielten. Daraufhin erhalten die Gäste - wenn man
nachzählt kommt man zu dem Schluß, daß es ungefähr
15 gewesen sein müssen - gemästete Hühner und
Gänseeier (65). Die Hühner waren entbeint und erinnern
ebenfalls an einige der apicianischen Hähnchenrezepte, die wir
im sechsten Buch finden (z.B. Pullus fusilis). Schließlich
gibt es zum Dessert (69,6) Drosseln aus Mürbeteig, die mit
Rosinen und Nüssen gefüllt sind und Quitten sowie eine aus
Schweinefleisch entstandene Imitation von allerlei Fischen und Vögeln
- auch dies mehr zur Verblüffung als zur Speisung der Gäste.
Und doch findet sich auch bei Apicius ein Fischgericht, von dem
gesagt wird, daß wohl niemand erkennen wird, woraus es besteht,
nämlich einen Sardellenauflauf, der statt mit Sardellen mit
Quallen zubereitet wird (4,2,12).
Eingestreut in die cena Trimalchionis finden
wir Habinnas' Bericht vom Abendessen (66), an dem er zuvor
teilgenommen hat und das ebenfalls Schwein mit Würstchen
enthielt, darüber hinaus Blutwürste, Hühnerfrikassee,
Käsetörtchen (scriblitae) und eine Art gebackenen
Camembert, nicht mit Preiselbeeren, sondern mit sapa, also
eingedicktem Traubensaft. Dazu gab es spanischen Honig, Erbsen,
Bohnen, Haselnüsse und Äpfel, Schnecken, Leberpasteten,
Eier, Rüben, Senf und Süßsaures, sogar ein Stück
Bärenfleisch (Bären gibt es im Appennin immer noch).
LIEBLINGSSPEISEN DER RÖMER
Schweinefleisch - auch Wildschwein - gehört, wie
uns Plinius bestätigt (8,209), zu den Lieblingsspeisen der
Römer, da es nahezu universell einsetzbar ist. Dies beweist auch
die Tatsache, daß sich so viele Rezepte für Schwein bei
Apicius finden, während zum Beispiel Kalb- und Rindfleisch stark
unterrepräsentiert ist. Allein im achten Buch von De Re
Coquinaria finden wir 17 Rezepte für die Zubereitung von
Spanferkel.
Wir vermuten, daß das, was vom ursprünglichen
Werk De Re Coquinaria des Apicius übriggeblieben ist, aus
dem vierten Jahrhundert stammt. Das Werk selbst ist in seinem Stil
sehr uneinheitlich. Es finden sich darin teilweise sehr ausgefeilte
Rezepte mit Zutaten, die man sicher auch im alten Rom nur schwer hat
finden können (Buch 7). Einen großen Teil dieser Rezepte
ordne ich dem originalen Werk des Apicius zu. Interessant sind
weiterhin die Fischgerichte, da sie uns dort, wo wir sie verstehen,
einen kleinen Überblick über die damals kulinarisch
verwendete Fauna des Mittelmeeres geben. Einen großen Block
bilden die im vierten Buch behandelten patinae, die in etwa
dem entsprechen, was wir heute als Auflauf bezeichnen. Eine andere
Gruppe von Rezepten beschreibt Gewürzmischungen für alle
möglichen Gelegenheiten. Darüber hinaus finden sich bei
Apicius Anleitungen, wie man verdorbene Lebensmittel wieder
aufbereitet.
Wie schon gesagt, enthält die uns überlieferte
Version von De Re Coquinaria einige ausgesprochen komplizierte
Rezepte, deren Zubereitung sehr lange dauert und vor allem eine große
Sachkenntnis und Erfahrung erfordert. Ich möchte hier noch
einmal das vorher im Zusammenhang mit der cena Trimalchionis
erwähnte porcellus hortolanus ("Gartenspanferkel")
erwähnen. Nach diesem Rezept soll das Spanferkel durch die
Gurgel "nach Art eines Schlauches" ausgebeint und dann mit
einer Reihe von Zutaten gefüllt werden, deren Vorbereitung
alleine längere Zeit in Anspruch nimmt. Es soll zuerst
angebraten und dann im Ofen gegrillt werden. Solcher Art Rezepte
waren natürlich für professionelle Köche bestimmt. Wir
können auch davon ausgehen, daß diese Gerichte
hauptsächlich bei größeren Veranstaltungen zum
Einsatz kamen, wenn wir berücksichtigen, daß ein
Spanferkel - je nach Größe - für 15-30 Personen
ausreicht.
Abgesehen von diesen wenigen repräsentativen
Gerichten ist die Art der Zubereitung bei den meisten Gerichten aus
De Re Coquinaria recht einfach und besteht im allgemeinen
darin, die genannten Zutaten in einen Topf oder in eine Pfanne zu
geben und zusammen zu kochen. Oft sind es auch einfach nur
Saucenrezepte, weshalb vielfach vermutet wurde, daß das
ursprüngliche Werk des Apicius aus einem Buch für normale
Rezepte und einem anderen für Saucen bestand. Ich bin
diesbezüglich jedoch nicht mehr ganz sicher, da der Übergang
zwischen reinen Saucenrezepten und "normalen" Gerichten bei
Apicius durchaus fließend ist und sich eher eine Ordnung nach
den Hauptzutaten feststellen läßt, wie wir noch sehen
werden.
EXZERPTE DES VINIDARIUS
Bemerkenswert ist, daß sich unter dem Titel
Apici excerpta a Vinidario viro inlustri eine kleine
Rezeptsammlung von 31 Rezepten zusammen mit einer Liste der damals
gebräuchlichen Gewürze erhalten hat, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit im fünften Jahrhundert als Auszug aus einer
Ausgabe des apicianischen Kochbuchs entstanden ist. Diese Exzerpte
weisen zwar relativ wenige direkte Übereinstimmungen mit der uns
überlieferten Apicius-Ausgabe auf, wenn ich jedoch "relativ
wenige" sage, so meine ich damit: es finden sich bei weitem
nicht alle dort aufgeführten Rezepte in De Re Coquinaria,
jedoch stimmen fünf Rezepte fast wörtlich mit Rezepten aus
De Re Coquinaria überein. Die Exzerpte des Vinidarius
sind stilistisch einheitlich, bei den Rezepten handelt es sich
durchweg um einfache Formen der Zubereitung, das heißt sie
gehören zu der Gruppe, bei denen die Zubereitung weitgehend auf
das Zusammengeben der Zutaten beschränkt ist. Sehr interessant
ist hingegen die Reihenfolge der Rezepte, denn wir finden in den
Exzerpten eine wohlgeordnete Zusammenstellung, die mit drei Eintöpfen
(caccabinae) beginnt, dann einen kurzen Abschnitt mit vier
Bratenrezepten enthält, worauf ein Kapitel mit Fischrezepten
folgt, das auch Rezepte für Meerbarbe (mullus), Muräne
(murena) und Languste (locusta) enthält. Danach
enthalten die Exzerpte einige Rezepte für Spanferkel, an die
sich je ein Rezept für Lamm und Zicklein anschließen. Den
Abschluß bilden drei Geflügelrezepte. In den Exzerpten des
Vinidarius liegen die Rezepte also offensichtlich in einer anderen
Reihenfolge vor: zuerst kommen einige Eintopfgerichte, dann die
Braten, danach Fischgerichte, darauf Rezepte für Spanferkel,
Lamm und Zicklein, am Schluß das Geflügel. Es sieht hier
so aus, als wäre einfach die Reihenfolge der Bücher, wie
sie uns in De Re Coquinaria vorliegt, vertauscht worden.
Auffallend im Werk des Apicius ist das weitgehende
Fehlen von Mengenangaben - jedenfalls für die interessanteren
Gerichte. Wir können uns also bei einer qualitativen Bewertung
dieser Rezepte nur auf unseren Gaumen und unsere eigenen Kochkünste
verlassen. Das ist ein Grund, warum ich persönlich die vielfach
an Apicius geäußerte, teilweise schroffe Kritik, seine
Gerichte seien oftmals ungenießbar, nicht ganz nachvollziehen
kann. Wie ein Nachkochen apicianischer Gerichte ausgeht, liegt in der
Regel voll und ganz in der Verantwortung des Koches.
Das ist aber auch der Grund, warum der Vergleich der
apicianischen Kochkünste mit denen späterer Zeiten so
schwerfällt. Während in modernen Kochbüchern
Mengenangaben nicht fehlen dürfen, sind sie bei Apicius und in
den späteren Kochbüchern bis zum Ende des Mittelalters
Mangelware. Wollen wir beide miteinander in Verbindung bringen,
müssen wir also ohne sie auskommen und können uns nur auf
den Zusammenhang zwischen Zutaten, Gewürzen und Zubereitung
stützen.
GEWÜRZE BEI APICIUS
Ich möchte jetzt kurz auf die bei Apicius am
häufigsten verwendeten Gewürze zu sprechen kommen.
Insgesamt ist die Vielfalt frischer und getrockneter Gewürze,
die wir in De Re Coquinaria finden, geradezu erstaunlich.
Alleine in der Zusammenstellung der wichtigsten Gewürze, die in
den Exzerpten des Vinidarius überliefert ist, sind mehr als 40
verschiedene Gewürze verzeichnet, die in jedem Haushalt
vorhanden sein sollten. Die bei Apicius am häufigsten
vorkommenden sind natürlich der Pfeffer (piper: ca. 470
Mal), Liebstöckel (ligusticum: ca. 180 Mal), Kümmel
(ca. 120 Mal), Koriander (coriandrum: ca. 100 Mal), Raute (ca.
100 Mal), Minze (ca. 75 Mal), Oregano (origanum: ca. 70 Mal),
Dill (anethum: ca. 40 Mal), Senf (sinapi<s>: ca.
40 Mal), die Petersilie (petroselinum: ca. 30 Mal), den
Wiesen- oder Feldkümmel (careum: ca. 35 Mal), Thymian
(thymum: ca. 35 Mal), Saturei oder Bohnenkraut (satureia:
ca. 30 Mal), Lorbeerblätter (lauri folia: ca. 25 Mal) und
nicht zuletzt das berühmte silphium beziehungsweise
laserpicium (ca. 95 Mal), ein aus einer in Nordafrika
beheimateten Staude gewonnener Saft oder deren Wurzel. Wir sind
hierbei leider nicht sicher, worum es sich genau handelt. Nach Lenz
(die Botanik der Griechen und Römer, Gotha 1959) ist
damit Thapsia silphium gemeint, eventuell wurde die
entsprechende Pflanze jedoch bereits im Altertum ausgerottet. Auch
Salz wird - entgegen einer allgemeinen Meinung - bei Apicius durchaus
oft eingesetzt (ca. 60 Mal). Darüber hinaus verwendet Apicius
aber noch viele andere Gewürze, so z.B. Ingwer (gingiber:
ca. 16 Mal), Safran (crocus: ca. 5 Mal) - beides ist im
Mittelalter sehr beliebt - Kardamom (cardamomum), Poleiminze,
Anis (anesum), Fenchel- und Selleriesamen (feniculi, apii
semen), Myrten- Rauten- Mastix- und Lorbeeren (baca myrtae,
rutae, lentisci, lauri), Bertram (pyrethrum), Kapern
(capparis), Schnittlauch (cepa pallachana) und
Schalotten (cepa Ascalonia), Zyperngras (ciperis),
Saflor (cnecos), Kerbel (caerifolium), Kostwurz
(costum), Haselwurz (asari), Ysop (hysopum),
getrocknete Zwiebel (cepa arida), Knoblauch und Wermuth. Bei
genauerem Nachzählen kommt man auf etwa 50 verschiedene Gewürze.
Es schiene verwegen anzunehmen, daß nicht alle im Mittelalter
verwendeten Gewürze bereits bei Apicius erwähnt würden,
und doch gibt es einige wichtige, die wir in De Re Coquinaria
noch nicht finden. Dazu zählen besonders die exotischeren
Gewürze Zimt (cinnam[om]um), der allerdings öfters
bei Plinius erwähnt wird, und Muskatnuß, aber auch der
Salbei, der nur in der Gewürzliste der Exzerpte des Vinidarius
vorkommt. An Flüssigkeiten und Gewürzsaucen finden wir bei
Apicius am häufigsten das als liquamen bezeichnete garum,
eine Sauce, die aus in Seewasser mit Gewürzen vergorenen
Fischeingeweiden hergestellt wurde und Ähnlichkeiten mit
Gewürzsaucen aufweist, die heute in der südostasiatischen
Küche Verwendung finden (ca. 400 Mal), Essig (acetum: ca.
185 Mal), Honig (mel: ca. 200 Mal), passum - ein
spezieller süßer Wein, der mit dem heute in der Toskana zu
findenden Vinsanto praktisch identisch ist (ca. 70 Mal),
defritum - eine Art eingekochter Traubensaft (ca. 60 Mal), und
natürlich Olivenöl (ca. 340 Mal) und Wein (ca. 175 Mal).
ANTHIMUS
Wir haben nur wenige Bindeglieder, die uns erlauben,
eine Beziehung zwischen den Rezepten des Apicius und den ersten
überlieferten Kochbüchern des Mittelalters vom Anfang des
14. Jahrhunderts herzustellen. Ein sehr wichtiges ist jedoch das
kurze Traktat des Anthimus De Observatione Ciborum, ein Brief
über die gesunde Ernährung an Theoderich den Großen,
der aus dem sechsten Jahrhundert stammt. Wir finden darin vor allem
Hinweise darauf, was zur Zeit des Anthimus als gesund und was als
weniger bekömmlich galt. Leider gibt uns Anthimus wenig Auskunft
darüber, wie man seine Speisen gefälligst zu würzen
habe und damit fällt ein Vergleich mit der apicianischen Küche
nicht leicht. An einigen Stellen finden wir zum Glück trotzdem
Hinweise auf die Zubereitung der Gerichte, wobei Anthimus vor allem
dafür plädiert, Fleisch nicht zu stark zu rösten,
sondern entweder zu kochen oder aber bei schwacher Hitze im Ofen
zuzubereiten. So schlägt er vor (De Obs. Cib. 3), Rindfleisch zu
kochen und die Brühe dann mit Lauch, Poleiminze, Sellerie oder
Fenchel, Essig, Honig, Pfeffer, Kostwurz, Narde, Gewürznelke und
Wein zu würzen. An anderer Stelle gibt er eine Gewürzmischung
für Hasen an, die aus Pfeffer, Ingwer, Nelken und Kostwurz
besteht. Beide Gerichte erinnern stark an apicianische
Gewürzzusammenstellungen, so finden wir zum Beispiel in De Re
Coquinaria eine Sauce (embamma) für gegrillten
Hirschbraten, die der eben beschriebenen Rindfleischbrühe
ähnelt. Sie enthält Pfeffer, Nardenblüte,
Selleriesamen, getrocknete Zwiebel, frische Raute, Honig, Essig,
liquamen, Datteln, Rosinen und Öl. Eine ähnliche
Sauce für gekochtes Kalbfleisch finden wir ebenso. Diese besteht
aus Pfeffer, Liebstöckel, Wiesenkümmel, Selleriesamen,
Honig, Essig, liquamen und Öl. Trotz der oberflächlichen
Ähnlichkeit fallen jedoch einige markante Unterschiede ins Auge.
Während Anthimus für das Rindfleisch eine echte Brühe
herstellt, werden die Saucen des Apicius separat zubereitet und dann
über das schon gare Fleisch gegossen. Nebenbei bemerkt wird
liquamen als Gewürz von Anthimus strikt abgelehnt. Dies
bedeutet aber auch, daß es zu seiner Zeit durchaus noch
Verwendung fand. Euter (sumen) hingegen - den Inbegriff
kulinarischer Köstlichkeiten im antiken Rom - verteidigt auch
Anthimus als gute Speise, sowohl gegrillt als auch gekocht. Zu beidem
finden wir auch ein entsprechendes Rezept bei Apicius. Von Interesse
für uns ist noch die Erwähnung der Melonen, von denen
Anthimus schreibt, einige Leute würden sie mit posca -
einer Art antiker Limonade - und Poleiminze (puleium) essen.
Ein solches Rezept gibt es in der Tat bei Apicius (3,7), der zur
Herstellung eines Melonensalates als Zutaten Pfeffer, Poleiminze,
Honig oder passum, liquamen und Essig angibt. Was wir
aus diesen kleinen Einblicken schließen können, ist auf
jeden Fall, daß die Rezepte, die uns in De Re Coquinaria
erhalten geblieben sind, nicht unbedingt Resultat eines besonders
extravaganten kulinarischen Spieltriebs waren, sondern zum großen
Teil einen Einblick in die tatsächliche Ernährung zumindest
der höheren Schichten bis ins sechste Jahrhundert hinein
erlaubt. Auch Anthimus selbst gibt in der Einleitung seiner Schrift
zu, daß derartige Diätvorschriften vor allem für die
gehobeneren Gesellschaftsschichten bestimmt waren, denen
Nahrungsmittel ja zum Überfluß zur Verfügung standen.
Zwischen dem, was üblich war und den Vorschriften des Anthimus
wird also noch eine entsprechend große Diskrepanz bestanden
haben, denn sonst wäre diese Belehrung ja nicht notwendig
gewesen. Wir dürfen uns in diesem Zusammenhang wieder daran
erinnern, daß ja die uns erhalten gebliebenen Teile des
apicianischen Kochbuchs wahrscheinlich aus dem vierten bis fünften
Jahrhundert stammen. Daß sie bis zu den noch vorhandenen
Handschriften - die früheste stammt aus dem neunten Jahrhundert
- oft ediert, ergänzt, immer wieder geändert, diktiert und
abgeschrieben worden sind, beweist nicht zuletzt ein kurzer Blick auf
die Orthographie. Zum Glück haben die letzten Kopisten die
apicianischen Rezepte offensichtlich so wenig verstanden, daß
sie nicht wagten, am überlieferten Text auch nur einen i-Punkt
zu ändern - jedenfalls nicht vorsätzlich - so daß uns
die originalen Fehler, die zum Teil auf Hörfehler zurückgehen
- und einige weitere dazu - erhalten geblieben sind. Als Beispiel
möchte ich "oridia" aus dem zweiten Buch zitieren,
womit eigentlich der Reis, also oryza gemeint war.
FAST 800 JAHRE OHNE KOCHBÜCHER
Nach der uns erhaltenen Ausgabe von De Re
Coquinaria, den Exzerpten des Vinidarius und dem Traktat des
Anthimus De Observatione Ciborum blicken wir, was die
Geschichte der westeuropäischen Kochkunst betrifft, in einen
tiefen und fast achthundert Jahre breiten Abgrund, in dem wir
praktisch keine Kochbuchliteratur und auch nur spärliche
Hinweise auf die Tafelfreuden unserer Vorfahren finden, bis wir
plötzlich am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts ein
reges Treiben in diesem Sektor feststellen, das bis heute nicht
abgerissen ist.
ERSTE KOCHBÜCHER DES MITTELALTERS
Die meisten der bekannteren Kochbücher des 14.
Jahrhunderts - so viele sind es ja nun auch nicht - stammen aus
Deutschland und Frankreich. Es ist verständlich, daß sich
die dort festgehaltenen Rezepte vor allem in Hinblick auf die Gewürze
von den antiken unterscheiden. Während im antiken Rom
offensichtlich auch viele verschiedene frische Gewürzkräuter
in Verwendung waren, finden wir in den deutschen und französischen
Kochbüchern viele Gewürzpulver und teilweise offensichtlich
schon fertig vorbereitete Gewürzmischungen. Solche
Gewürzmischungen kennen wir zum Teil schon aus dem ersten Buch
von De Re Coquinaria, das eine Reihe von Vorschriften für
die Zubereitung von Gewürzsalzen und Gewürzsaucen enthält,
die wohl dafür vorgesehen waren, längere Zeit gelagert zu
werden. Darüber hinaus sind die Gewürzmischungen unserer
mittelalterlichen Köche untereinander oft sehr ähnlich.
TAILLEVENT
Das wohl berühmteste Kochbuch des 14.
Jahrhunderts ist der von Taillevent (Guillaume Tirel), dem Hofkoch
Karls des V und Karls des VI von Frankreich, verfaßte Viandier.
Die bei Taillevent vorherrschenden Gewürze sind Pfeffer und
Ingwer, Safran, Zimt, Kardamom (grainne de paradiz), Kümmel,
Nelken, und Muskat, manchmal Zucker, den die Römer zwar kannten,
aber wohl nur zu medizinischen Zwecken verwendeten (Plin. Nat.Hist.
12,32,5), sowie Salz, das auch in den apicianischen Rezepten nicht
gerade selten vorkommt. Daneben finden wir oft eine fertige
Gewürzmischung, die mit poudré d'espices
bezeichnet wird. Als frisches Gewürz entdecken wir fast nur
Petersilie. An Flüssigkeiten verwendet Taillevent den Essig (vin
aigre) und verjus (eine ähnliche, nicht ganz so saure
Zubereitung aus unreifen Äpfeln), aber auch Wein, und der
apicianische Honig zum Süßen wird durch den moderneren
Zucker ersetzt. Olivenöl erscheint in den Rezepten erstaunlich
selten, statt dessen taucht aber ab und zu die bei Apicius gänzlich
unbekannte Butter auf. Wir sehen uns bei aufmerksamem Durchlesen der
Rezepte durchaus zu der Bemerkung veranlaßt, daß
Taillevent eine große Zahl von Hauptgerichten immer gleich,
nämlich mit Ingwer, Zimt, Kardamom, Pfeffer und Safran würzt.
Diese Beschränkung auf wenige und meist getrocknete
Gewürzkräuter hat wohl einerseits ihren Grund darin, daß
einige der frischen Gewürze, wie z.B. Liebstöckel,
Koriander, Minze und Oregano, in unseren nördlicheren Gefilden
schwerer erhältlich waren als im antiken Rom, aber nur daran
kann es nicht liegen, denn viele dieser Gewürzkräuter wären
in Deutschland oder Frankreich sehr gut gediehen. Der Grund ist
offensichtlich noch ein anderer, nämlich ein in Deutschland und
Frankreich insgesamt weniger ausgeprägtes
Interesse für die Verwendung frischer Gewürze. Und dieses
ist - besonders in Frankreich - mit einer weitgehenden Normierung der
gehobenen Kochkunst einhergegangen: alles soll überall und zu
jeder Jahreszeit in gleicher Weise verfügbar sein. Dieser
Grundsatz ist natürlich dort schwer einzuhalten, wo frisches
Gemüse oder Früchte Eingang in ein Rezept gefunden haben.
DAS BUCH VON GUTER SPEISE
Etwas anders als bei Taillevent verhält es sich
in dem ersten deutschsprachigen Kochbuch, dem um 1350 in Würzburg
entstandenen Buch von guter Speise (Handschrift von De Leone).
Das, was wir im Buch von guter Speise finden, würden wir
eher als "gutbürgerliche Küche" bezeichnen. Wir
entdecken zwar einige aufwendige Speisen, doch im Großen und
Ganzen beschränkt sich unser Autor auf einfach zuzubereitende
Gerichte. Olivenöl wird nur ein einziges Mal erwähnt verwendet,
dafür stehen Milchprodukte - nämlich Milch und Butter - in
hohem Kurs. Daß die Deutschen seit langem eine gewisse Vorliebe
für Milch haben, entnehmen wir schon der Germania des Tacitus
(23,1). Auch die Gewürze entsprechen eher der bürgerlichen
Küche: Pfeffer, Salz, Ingwer, Safran, Salbei und Petersilie
werden am häufigsten genannt. Wir finden aber auch Kümmel,
Anis, Nelken, Zimt, Muskatnuß und einige andere, einmal sogar
Hopfen für die Zubereitung von Met. Wir können beim genauen
Hinsehen trotzdem einige erstaunliche Ähnlichkeiten mit Rezepten
der antiken römischen Küche festmachen, und zwar besonders
an einigen Pastetenrezepten. Bei Apicius finden wir im vierten Buch
eine Reihe von Auflaufrezepten, von denen das markanteste wohl die
Patina Apiciana (4,2,14) ist, die unseren mittelalterlichen
Pastetenrezepten recht nahe steht (z.B. Buch von guter Speise 51
oder Liber de Coquina 10[5],6).
Darüber hinaus können wir feststellen, daß
im Buch von guter Speise recht viele frische Früchte
Verwendung finden: Süß- und Sauerkirschen, Pflaumen, Äpfel
und Birnen und sogar Pfirsiche. An einer Stelle entdecken wir im Buch
von guter Speise tatsächlich ein Birnenkompott, das uns aus De
Re Coquinaria bekannt zu sein scheint und zwar unter dem Titel Patina
de Piris (Birnenauflauf: 4,2,35). Die Herstellung ist einfach: man nehme
Birnen, schäle sie, schneide sie klein und koche sie in Wein und Schmalz,
passiere sie durch ein Tuch und lasse sie nochmals mit Eidottern aufkochen
(Buch von guter Speise 81). Dasselbe Rezept findet sich auch im
Liber de Coquina (10[5],6).
LIBER DE COQUINA
Ein weiteres, überaus interessantes Dokument zu
dem Thema mittelalterliche Küche stellen zwei Traktate dar, die
wahrscheinlich um 1300 auf Latein verfaßt wurde und die Titel
Tractatus de Modo Preparandi et Condiendi Omnia Cibaria und
Liber de Coquina tragen, das heißt: die Titel fehlen
eigentlich in der Handschrift und wurde nur am Rand nachgetragen. Es
scheint sich bei diesem Werk um zwei separate Abhandlungen über
die Kochkunst zu handeln, die eventuell von zwei verschiedenen
Autoren stammen, sicher ist dies jedoch nicht. Die Einleitung der
ersten beginnt sehr erfrischend und vielversprechend mit den Worten:
"Als ich noch in der Blüte meiner Jugend
stand, habe ich verschiedene Gegenden der Welt bereist und bin an
verschiedenen und auch berühmten Hofhaltungen verweilt,
natürlich vom Militär, von Äbten, Fürsten und
Reichen, an denen ich viel und evrschiedenes von der Zubereitung
unterschiedlicher delikater Gerichte gesehen habe, für die ich
mich interessierte, und ich habe mir Mühe gegeben, alles auf die
gebührende Weise zu beschreiben."
Beide Abhandlungen sind direkt aufeinander folgend in
zwei Handschriften erhalten, die heute in der Bibliothèque
Nationale aufbewahrt werden (lat. 7131, fol 94-99, lat. 9328,
fol. 129-139, ediert: Marianne Mulon, Bull. philol. et hist., 1968).
Die ältere davon enthält neben diesen zwei Kochbüchern
ein Sammelsurium hauptsächlich medizinischer Traktate. Es findet
sich darin jedoch eine weitere, sehr kurze französische
Rezeptsammlung, die allgemein auf das Ende des 13. Jahrhunderts
datiert wird.
Leider sagt der Autor trotz dieser Einleitung nichts
über sich selbst und so wissen wir auch weder, um wen es sich
handelt, noch, welche soziale Stellung er innehatte. Das Werk selbst
ist deshalb so interessant, weil es einerseits eines der ersten uns
erhalten gebliebenen Kochbücher des Mittelalters überhaupt
ist und andrerseits weil es vom Inhalt her der antiken Küche am
nächsten steht. Wahrscheinlich wurde es von einem Italiener,
also sozusagen von einem Landsmann des Apicius, verfaßt. Dafür
sprechen die außerordentlich vielen Italianismen,die in sein
Latein eingeflossen sind. Die Rezepte, die wir in diesem Kochbuch
finden, sind für die Zeit außerordentlich detailliert und
enthalten außer einer Liste der Zutaten oft auch eine genaue
Beschreibung der Zubereitung, die zum Teil sehr kompliziert werden
konnte. Interessant ist auch die Einteilung der beiden Abhandlungen.
Die erste beginnt - wie De Re Coquinaria - mit einer
Darstellung verschiedener Methoden, verdorbene Weine aufzubessern und
Gewürzweine und ähnliches herzustellen. Hier finden wir
auch ein Rezept für Rosenwein, den auch Apicius bereits
herstellte, wenn auch auf etwas andere Art. Bei Apicius wird
allerdings auch Honig hinzugegeben, der bei unserem mittelalterlichen
Autor in den Weinrezepten größtenteils fehlt: er verwendet
ihn nur für die Zubereitung von claretum, einer
speziellen Art süßen Gewürzweines mit Zimt, Ingwer
und Nelken. Er kannte auch sapa, den bei den Römern oft
verwendeten Mostsirup und gibt an, man solle zu seiner Herstellung
frischen, süßen Most soweit einkochen, bis er so zäh
werde wie Honig.
Nach dieser kurzen Behandlung der Weinpräparationen
folgen die handfesten Gerichte, das heißt die
Fleischzubereitungen, als erstes natürlich das seit den Römern
beliebte Federvieh, angeführt von den Hähnchenrezepten, auf
die die Rezepte für Gans und dann ein kollektives Rezept für
alle anderen Vögel folgen.
Unsere Aufmerksamkeit wird sofort von dem ersten
Rezept für gefülltes Hähnchen angezogen, denn dieses
erinnert uns an das apicianische Rezept für Huhn mit flüssiger
Füllung (pullus fusilis, Apic. 6,9,15), wenn auch die
Füllung unseres mittelalterlichen Hähnchens etwas
prosaischer ausfällt: hier wird das Hähnchen nur mit
Hackfleisch, hartgekochten Eiern und Gewürzen gefüllt,
während bei Apicius gekochte Grütze, Pinienkerne und Hirn
hinzukommen, zudem verwendet er rohe Eier, damit die Füllung
beim Kochen oder Backen fest wird. Beide würzen jedoch ausgiebig
mit Pfeffer und Ingwer, Ysop, Petersilie und Salbei beziehungsweise
Liebstöckel sowie Salz beziehungsweise liquamen.
Ein ähnliches Rezept finden wir in der zweiten
Abhandlung. Dort wird ein Hähnchen zwischen Haut und Fleisch
gefüllt. Auch diese Methode erinnert sehr an ein apicianisches
Rezept für gefülltes Spanferkel, bei dem dem Spanferkel
eine Gewürzmischung zwischen Haut und Fleisch gefüllt wird.
Bei unserem mittelalterlichen Autor sind es nicht nur Gewürze,
sondern Hackfleisch mit rohen Eiern und geriebenem Käse.
ANTIKE UND MITTELALTER
Vielen mittelalterlichen Rezeptsammlungen ist eigen,
daß sie praktisch keine Anleitung zur Zubereitung der Gerichte
geben, sondern - wie auch schon die meisten apicianischen Rezepte -
nur eine Auflistung von Zutaten darstellen. Bei unserem, wohl aus
Italien stammenden Autor des 13. Jahrhunderts, der sich getraut hat,
die Zubereitung auch komplizierter Gerichte zu beschreiben, finden
wir eine große Zahl von Übereinstimmungen mit bereits bei
Apicius verwendeten Techniken. Im Mittelalter stellen wir eine
Geschmacksveränderung besonders anhand der verwendeten Gewürze
fest. Nicht mehr die typisch apicianische Gewürzzusammenstellung
Pfeffer, Liebstöckel, Oregano und liquamen gibt den Ton
an, sondern das Schwergewicht liegt mehr auf Pfeffer, Ingwer, Zimt,
Kardamom und Salbei.
NACHWIRKUNGEN DER RÖMISCHEN KOCHKUNST
Um die Nachwirkungen der römischen Kochkunst -
und somit der Kochkunst des Apicius - zu finden, sieht es also
tatsächlich so aus, als müßten wir uns wieder nach
Süden begeben. In Italien ist ein guter Teil der - eigentlich
ja aus Griechenland importierten - antiken Kochkunst noch lebendig.
So finden wir auch heute noch den römischen Süßwein,
das sogenannte Passum im toskanischen Vinsanto wieder.
Noch heute gibt es in Norditalien eine Art Würstchen, die als
Luganega bezeichnet werden - bei Apicius hießen sie
Lucanicae. Das, was uns Apicius als Aliter dulcia in
7,13,6 vorstellt, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als dasselbe
Rezept, das auch für die Crescentine in der Emilia-Romagna
verwendet wird, nur daß Crescentine meist mit Schinken,
Mortadella oder Käse, nicht aber mit Honig gegessen werden.
Das bei den Römern beliebte liquamen oder garum
finden wir nicht in Italien, dafür aber in asiatischen
Lebensmittelgeschäften wieder. Die Herstellung des vietnamesischen
Nouc-Mam entspricht der des antiken Garum erstaunlich
genau. Wenn man sich einmal selbst an der apicianischen Küche
versuchen will, kann man daher liquamen gut durch
Nuoc-Mam ersetzen.
SCHLUSSBEMERKUNG
Ich möchte jetzt statt mit einer Feststellung
mit einer Frage schließen, mit der Frage, ob wir die
Übereinstimmungen, die wir in den letzten zweitausend Jahren der
Geschichte der Kochkunst feststellen, eher unserem Gaumen oder einem
gewissen Traditionsbewußtsein unserer professionellen Vertreter
der Kochkunst verdanken. Die Antwort auf diese Frage wird
wahrscheinlich lauten müssen, daß es eine gesunde Mischung
aus beidem ist.
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