APICIUS LIBER DE COQUINA GESCHICHTE DER KOCHKUNST VISUELLES WÖRTERBUCH LATEIN FÜR ELTERN PIPER SALVE

Tradition in der europäischen Kochkunst?
Von Apicius bis ins Spätmittelalter.

Vortrag gehalten am 24.10.1996
anläßlich des Internationalen Symposions
"Symposion: Das Festmahl in Antike und Neuzeit"
im Warburghaus, Hamburg

von Robert Maier
e-mail: robert@maierphil.de
WWW: www.maierphil.de

 

Literatur zur antiken und mittelalterlichen Kochkunst:

Glossarium Culinarium Latinum von Robert Maier
pdf-Datei zum Download.
Das römische Kochbuch des Apicius, Vollständige zweisprachige Ausgabe
von Robert Maier (Hrsg.)
ISBN: 3150087104
Liber de Coquina - Das Buch der guten Küche
von Robert Maier (Hrsg.)
ISBN: 1542486637
Das Römische Gastmahl
von Elke Stein-Hölkeskamp
ISBN: 3406528902
Kochen wie die alten Römer. von Hans P. von Peschke, Werner Feldmann
ISBN: 3760811183
Des Marcus Cato Belehrung über die Landwirtschaft. von Paul Thielscher
ISBN: 3428015398
Landbau / De agri cultura. Fragmente. von M. Porcius Cato
ISBN: 3760817238
Küchengeheimnisse der Antike. Kulinarische Entdeckungen und Rezepte. von Andrew Dalby, Sally Grainger
ISBN: 3881892044
Panis Militaris. von: Marcus Junkelmann
ISBN: 3805323328
Zu Tisch bei den Alten Römern. Eine Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. von Gudrun Gerlach
ISBN: 3806213534
Die Weinkultur der Römer. von Karl-Wilhelm Weeber
ISBN: 3760812112
Gastmahl bei Trimalchio. von Petronius
ISBN: 3423091487
Höllisch gut. Himmlische Gerichte aus dem Alten und dem Neuen Testament. von Jutta Radel, Margrit Hug
ISBN: 3729400983
Daz buch von guter spise. von Hans Hajek (Hrsg.)
ISBN: 3503004009
Daz buch von guter Spise. Faksimile, Vorwort von Artur Kupfer
ISBN: 3403097196
Das Buch von guter Speise von Jacob Blume
Mittelalterlich kochen
ISBN: 3895334510
Küchengeheimnisse des Mittelalters. Kulinarische Entdeckungen und Rezepte. von Maggie Black
ISBN: 3881892400
Die Garküche. Braten, Backen und Kochen im Mittelalter. von Leo Vogt
ISBN: 3929366312
Die Kochkunst des Mittelalters. von: Odile Redon, Francoise Sabban, Silvano Serventi
ISBN: 3926642149
Die klassische Kochkunst Italiens. von Pellegrino Artusi
ISBN: 3440105059
Italien. Eine kulinarische Reise. von Lorenza de Medici
ISBN: 3884721526

VORWORT

Essen und Trinken spielen in der Geschichte der Menschheit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es waren immer auch die großen Festmähler der Fürsten und Könige, die den Gang der Dinge mitbestimmten. Oftmals ist das Gastmahl die einzige Gelegenheit des gegenseitigen Sich-Kennenlernens, und somit die geschickte Verteilung von Einladungen und Sitzplätzen seitens des Gastgebers eine interessante Quelle allgemeiner Einflußnahme, denn, wenn auch sonst vielleicht nicht viel hängenbleibt, so erinnern wir uns in der Regel genau, wo wir gut bewirtet wurden. Aus dieser Tatsache heraus erklärt sich natürlich leicht, daß Kochbücher immer zu den Verkaufsschlagern auf dem Buchsektor zählten, obwohl es sich hierbei selten um Literatur im eigentlichen Sinne handelt. Und doch gibt es Werke unter den Kochbüchern, die durchaus für sich beanspruchen können, zur Literatur gezählt zu werden. Ich möchte hier nur an den Klassiker der italienischen Küche erinnern, nämlich an "La scienza in cucina e l'arte di mangiar bene" von Pellegrino Artusi. Kochbücher gehören auch heute zu den Büchern, die in keinem Haushalt fehlen dürfen.

Gerade in den letzten Jahren ist uns immer öfter der Blick in die Kochtöpfe unserer Prominenten vergönnt: kaum jemand, der nicht bereits ein Kochbuch mit seinen Lieblingsrezepten veröffentlicht hätte. Auch in Antike und Mittelalter interessierten sich Biographen und Chronisten für die Lieblingsspeisen ihrer "Opfer". So erfahren wir in Einhards Vita Caroli Magni, daß Spießbraten zu den Lieblingsspeisen Karls des Großen zählte.

APICIUS

Apicius gehörte seiner Zeit selbst zur "High Society", berühmt durch von ihm veranstalteten extravaganten Feste, bei denen er sein Vermögen verschleuderte. Als dann nicht mehr genug übrig war, um seinen Lebensstil zu halten, begang er Selbstmord. Dies erfahren wir von Seneca (De consolatione, ad Helviam X,8+9) und - in Kurzform - von Martial. Bei Apicius sind wir in der glücklichen Lage, einerseits von Plinius einiges über die von ihm kreierten Speisen zu erfahren und andrerseits sein eigenes Werk De Re Coquinaria, zwar in sicherlich stark veränderter Form, jedoch mehr oder weniger vollständig, in Händen zu halten.

Um die Wirkung der apicianischen Kochkunst auf seine und spätere Zeiten zu fassen, müssen wir nicht weit gehen: das sicher bekannteste Beispiel ist das "iecur ficatum", das sich in allen romanischen Sprachen als "Leber" erhalten hat, obwohl wir hier - trotz der Versicherung des Plinius (nat. hist. 8,209,4) - nicht ganz sicher sein können, daß die Idee dazu wirklich alleine von Apicius stammt. Gleichwohl steht es stellvertretend für den Stil der damaligen "haute cuisine". Eine andere lesenswerte Quelle zu diesem Thema sind die Epigramme Martials, in denen wir einige scharfzüngig formulierte Kurzbeschreibungen der vom römischen Geldadel veranstalteten Parties und der bei diesen Gelegenheiten servierten Gerichten finden. Der Schlemmer und Gourmet Apicius war natürlich auch dem Martial ein sehr lebendiger Begriff (2,69). Schauen wir durch Martials Augen auf die Tafeln seiner Gastgeber, so entdecken wir dort Austern und Miesmuscheln, Champignons, Schollen, Steinbutt (rhombus) und Meerbarbe (mullus), Lattich (Salat), Euter, Wildschwein und Hasen. Alles Dinge, zu denen auch Apicius einiges zu sagen wußte.

Als weitere, einigermaßen zeitgenössische Quelle haben wir zu Apicius die Naturalis Historia von Plinius dem Älteren. Hier findet sich eine Reihe interessanter Hinweise auch in bezug auf die direkten Nachwirkungen der apicianischen Kochkunst, denn es ist recht unwahrscheinlich, daß Plinius den Apicius noch persönlich gekannt und erlebt hat. Insofern muß er sein Wissen aus anderen Quellen - vielleicht aus einer ersten Ausgabe von De Re Coquinaria - bezogen haben. Als Erfindungen des Apicius erwähnt Plinius die Zubereitung von Flamingozungen und das schon erwähnte Mästen von Schweinen mit Feigen (8,209,4; 9,66,4; 10,133,1), um der Leber einen besonderen Geschmack zu geben. An anderer Stelle zitiert Plinius den Apicius, der Meerbarben in garum geschlachtet und aus deren Leber allec - eine spezielle Fischsauce - zubereitet haben soll. Außerdem soll Apicius für die "coctura Apiciana" (das Kochen von grünem Gemüse mit Öl und Salz, 19,143,6) verantwortlich sein, die wir - ebenso wie einige Rezepte für cyma (Broccoli?), den er laut Plinius nicht geschätzt haben soll - tatsächlich in einem Rezept für die Zubereitung von Lauch im dritten Buch von De Re Coquinaria finden.

PETRONIUS

Interessant sind die Ähnlichkeiten einiger Gerichte aus Petrons cena Trimalchionis mit Rezepten aus De Re Coquinaria des Apicius. Zu einigen Gerichten aus der cena Trimalchionis finden wir bei Apicius echte Entsprechungen. Es ist allerdings so, daß Trimalchio mit der eigentlichen Kochkunst des Apicius wenig anzufangen wußte. Vielmehr kommt es ihm vor allem darauf an, die Gäste mit mehr oder weniger gelungenen Einlagen zu überraschen und zu verblüffen.

Schauen wir uns nun die von Trimalchio servierten "Köstlichkeiten" etwas näher an:

Die Vorspeise besteht aus Oliven, Haselmäusen, die mit Honig und Mohn bestreut sind, Würstchen sowie syrischen Pflaumen mit Granatapfelkernen (31,9). Danach werden gebackene Feigendrosseln (ficedulae) gereicht (33,8). Der nächste Gang (35-36) - versteckt unter einem Tablett, auf das nach den Tierkreiszeichen die dazu "passenden" Speisen verteilt waren - besteht aus Masthühnern, Euter (sumen), einem Hasen und Fischen in gepfeffertem garum. Zwischendurch wird mulsum, der römische Honigwein, dann Wein aufgetischt. Der folgende Gang gehört bereits zum Hauptgericht und besteht aus einem Wildschwein, das von Datteln flankiert wird und aus dem nach dem Aufschneiden Drosseln herausfliegen (40,3) - es kann sich also kaum um eine warme Speise gehandelt haben. Das Hauptgericht aber ist ein großes mit Würsten gefülltes Schwein. Zu diesem und zu dem vorhergehenden Wildschwein müßte uns sofort das Gartenspanferkel des Apicius (8,7,14) einfallen, dessen Füllung aus Wachteln, Drosseln, lukanischen Würstchen, Datteln, Zwiebeln, Schnecken und noch einer Vielzahl anderer Zutaten besteht. Apicius hat natürlich auch Rezepte für Euter (sumen), Haselmäuse (glires), Hasen (lepores) und Wildschwein (apri) im Programm. All dies findet sich interessanterweise im Buch 7 "Der Feinschmecker". Wir sollten jedoch für den Augenblick bei Trimalchios täglicher Hausparty noch bis zum Ende verweilen: Nach dem gefüllten Schwein wurden - in gebührendem Abstand - einige mit Safran gefüllte, aber wohl eher ungenießbare, Küchlein aufgetischt (60,6), die einige Gäste für Opfergaben hielten. Daraufhin erhalten die Gäste - wenn man nachzählt kommt man zu dem Schluß, daß es ungefähr 15 gewesen sein müssen - gemästete Hühner und Gänseeier (65). Die Hühner waren entbeint und erinnern ebenfalls an einige der apicianischen Hähnchenrezepte, die wir im sechsten Buch finden (z.B. Pullus fusilis). Schließlich gibt es zum Dessert (69,6) Drosseln aus Mürbeteig, die mit Rosinen und Nüssen gefüllt sind und Quitten sowie eine aus Schweinefleisch entstandene Imitation von allerlei Fischen und Vögeln - auch dies mehr zur Verblüffung als zur Speisung der Gäste. Und doch findet sich auch bei Apicius ein Fischgericht, von dem gesagt wird, daß wohl niemand erkennen wird, woraus es besteht, nämlich einen Sardellenauflauf, der statt mit Sardellen mit Quallen zubereitet wird (4,2,12).

Eingestreut in die cena Trimalchionis finden wir Habinnas' Bericht vom Abendessen (66), an dem er zuvor teilgenommen hat und das ebenfalls Schwein mit Würstchen enthielt, darüber hinaus Blutwürste, Hühnerfrikassee, Käsetörtchen (scriblitae) und eine Art gebackenen Camembert, nicht mit Preiselbeeren, sondern mit sapa, also eingedicktem Traubensaft. Dazu gab es spanischen Honig, Erbsen, Bohnen, Haselnüsse und Äpfel, Schnecken, Leberpasteten, Eier, Rüben, Senf und Süßsaures, sogar ein Stück Bärenfleisch (Bären gibt es im Appennin immer noch).

LIEBLINGSSPEISEN DER RÖMER

Schweinefleisch - auch Wildschwein - gehört, wie uns Plinius bestätigt (8,209), zu den Lieblingsspeisen der Römer, da es nahezu universell einsetzbar ist. Dies beweist auch die Tatsache, daß sich so viele Rezepte für Schwein bei Apicius finden, während zum Beispiel Kalb- und Rindfleisch stark unterrepräsentiert ist. Allein im achten Buch von De Re Coquinaria finden wir 17 Rezepte für die Zubereitung von Spanferkel.

Wir vermuten, daß das, was vom ursprünglichen Werk De Re Coquinaria des Apicius übriggeblieben ist, aus dem vierten Jahrhundert stammt. Das Werk selbst ist in seinem Stil sehr uneinheitlich. Es finden sich darin teilweise sehr ausgefeilte Rezepte mit Zutaten, die man sicher auch im alten Rom nur schwer hat finden können (Buch 7). Einen großen Teil dieser Rezepte ordne ich dem originalen Werk des Apicius zu. Interessant sind weiterhin die Fischgerichte, da sie uns dort, wo wir sie verstehen, einen kleinen Überblick über die damals kulinarisch verwendete Fauna des Mittelmeeres geben. Einen großen Block bilden die im vierten Buch behandelten patinae, die in etwa dem entsprechen, was wir heute als Auflauf bezeichnen. Eine andere Gruppe von Rezepten beschreibt Gewürzmischungen für alle möglichen Gelegenheiten. Darüber hinaus finden sich bei Apicius Anleitungen, wie man verdorbene Lebensmittel wieder aufbereitet.

Wie schon gesagt, enthält die uns überlieferte Version von De Re Coquinaria einige ausgesprochen komplizierte Rezepte, deren Zubereitung sehr lange dauert und vor allem eine große Sachkenntnis und Erfahrung erfordert. Ich möchte hier noch einmal das vorher im Zusammenhang mit der cena Trimalchionis erwähnte porcellus hortolanus ("Gartenspanferkel") erwähnen. Nach diesem Rezept soll das Spanferkel durch die Gurgel "nach Art eines Schlauches" ausgebeint und dann mit einer Reihe von Zutaten gefüllt werden, deren Vorbereitung alleine längere Zeit in Anspruch nimmt. Es soll zuerst angebraten und dann im Ofen gegrillt werden. Solcher Art Rezepte waren natürlich für professionelle Köche bestimmt. Wir können auch davon ausgehen, daß diese Gerichte hauptsächlich bei größeren Veranstaltungen zum Einsatz kamen, wenn wir berücksichtigen, daß ein Spanferkel - je nach Größe - für 15-30 Personen ausreicht.

Abgesehen von diesen wenigen repräsentativen Gerichten ist die Art der Zubereitung bei den meisten Gerichten aus De Re Coquinaria recht einfach und besteht im allgemeinen darin, die genannten Zutaten in einen Topf oder in eine Pfanne zu geben und zusammen zu kochen. Oft sind es auch einfach nur Saucenrezepte, weshalb vielfach vermutet wurde, daß das ursprüngliche Werk des Apicius aus einem Buch für normale Rezepte und einem anderen für Saucen bestand. Ich bin diesbezüglich jedoch nicht mehr ganz sicher, da der Übergang zwischen reinen Saucenrezepten und "normalen" Gerichten bei Apicius durchaus fließend ist und sich eher eine Ordnung nach den Hauptzutaten feststellen läßt, wie wir noch sehen werden.

EXZERPTE DES VINIDARIUS

Bemerkenswert ist, daß sich unter dem Titel Apici excerpta a Vinidario viro inlustri eine kleine Rezeptsammlung von 31 Rezepten zusammen mit einer Liste der damals gebräuchlichen Gewürze erhalten hat, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im fünften Jahrhundert als Auszug aus einer Ausgabe des apicianischen Kochbuchs entstanden ist. Diese Exzerpte weisen zwar relativ wenige direkte Übereinstimmungen mit der uns überlieferten Apicius-Ausgabe auf, wenn ich jedoch "relativ wenige" sage, so meine ich damit: es finden sich bei weitem nicht alle dort aufgeführten Rezepte in De Re Coquinaria, jedoch stimmen fünf Rezepte fast wörtlich mit Rezepten aus De Re Coquinaria überein. Die Exzerpte des Vinidarius sind stilistisch einheitlich, bei den Rezepten handelt es sich durchweg um einfache Formen der Zubereitung, das heißt sie gehören zu der Gruppe, bei denen die Zubereitung weitgehend auf das Zusammengeben der Zutaten beschränkt ist. Sehr interessant ist hingegen die Reihenfolge der Rezepte, denn wir finden in den Exzerpten eine wohlgeordnete Zusammenstellung, die mit drei Eintöpfen (caccabinae) beginnt, dann einen kurzen Abschnitt mit vier Bratenrezepten enthält, worauf ein Kapitel mit Fischrezepten folgt, das auch Rezepte für Meerbarbe (mullus), Muräne (murena) und Languste (locusta) enthält. Danach enthalten die Exzerpte einige Rezepte für Spanferkel, an die sich je ein Rezept für Lamm und Zicklein anschließen. Den Abschluß bilden drei Geflügelrezepte. In den Exzerpten des Vinidarius liegen die Rezepte also offensichtlich in einer anderen Reihenfolge vor: zuerst kommen einige Eintopfgerichte, dann die Braten, danach Fischgerichte, darauf Rezepte für Spanferkel, Lamm und Zicklein, am Schluß das Geflügel. Es sieht hier so aus, als wäre einfach die Reihenfolge der Bücher, wie sie uns in De Re Coquinaria vorliegt, vertauscht worden.

Auffallend im Werk des Apicius ist das weitgehende Fehlen von Mengenangaben - jedenfalls für die interessanteren Gerichte. Wir können uns also bei einer qualitativen Bewertung dieser Rezepte nur auf unseren Gaumen und unsere eigenen Kochkünste verlassen. Das ist ein Grund, warum ich persönlich die vielfach an Apicius geäußerte, teilweise schroffe Kritik, seine Gerichte seien oftmals ungenießbar, nicht ganz nachvollziehen kann. Wie ein Nachkochen apicianischer Gerichte ausgeht, liegt in der Regel voll und ganz in der Verantwortung des Koches.

Das ist aber auch der Grund, warum der Vergleich der apicianischen Kochkünste mit denen späterer Zeiten so schwerfällt. Während in modernen Kochbüchern Mengenangaben nicht fehlen dürfen, sind sie bei Apicius und in den späteren Kochbüchern bis zum Ende des Mittelalters Mangelware. Wollen wir beide miteinander in Verbindung bringen, müssen wir also ohne sie auskommen und können uns nur auf den Zusammenhang zwischen Zutaten, Gewürzen und Zubereitung stützen.

GEWÜRZE BEI APICIUS

Ich möchte jetzt kurz auf die bei Apicius am häufigsten verwendeten Gewürze zu sprechen kommen. Insgesamt ist die Vielfalt frischer und getrockneter Gewürze, die wir in De Re Coquinaria finden, geradezu erstaunlich. Alleine in der Zusammenstellung der wichtigsten Gewürze, die in den Exzerpten des Vinidarius überliefert ist, sind mehr als 40 verschiedene Gewürze verzeichnet, die in jedem Haushalt vorhanden sein sollten. Die bei Apicius am häufigsten vorkommenden sind natürlich der Pfeffer (piper: ca. 470 Mal), Liebstöckel (ligusticum: ca. 180 Mal), Kümmel (ca. 120 Mal), Koriander (coriandrum: ca. 100 Mal), Raute (ca. 100 Mal), Minze (ca. 75 Mal), Oregano (origanum: ca. 70 Mal), Dill (anethum: ca. 40 Mal), Senf (sinapi<s>: ca. 40 Mal), die Petersilie (petroselinum: ca. 30 Mal), den Wiesen- oder Feldkümmel (careum: ca. 35 Mal), Thymian (thymum: ca. 35 Mal), Saturei oder Bohnenkraut (satureia: ca. 30 Mal), Lorbeerblätter (lauri folia: ca. 25 Mal) und nicht zuletzt das berühmte silphium beziehungsweise laserpicium (ca. 95 Mal), ein aus einer in Nordafrika beheimateten Staude gewonnener Saft oder deren Wurzel. Wir sind hierbei leider nicht sicher, worum es sich genau handelt. Nach Lenz (die Botanik der Griechen und Römer, Gotha 1959) ist damit Thapsia silphium gemeint, eventuell wurde die entsprechende Pflanze jedoch bereits im Altertum ausgerottet. Auch Salz wird - entgegen einer allgemeinen Meinung - bei Apicius durchaus oft eingesetzt (ca. 60 Mal). Darüber hinaus verwendet Apicius aber noch viele andere Gewürze, so z.B. Ingwer (gingiber: ca. 16 Mal), Safran (crocus: ca. 5 Mal) - beides ist im Mittelalter sehr beliebt - Kardamom (cardamomum), Poleiminze, Anis (anesum), Fenchel- und Selleriesamen (feniculi, apii semen), Myrten- Rauten- Mastix- und Lorbeeren (baca myrtae, rutae, lentisci, lauri), Bertram (pyrethrum), Kapern (capparis), Schnittlauch (cepa pallachana) und Schalotten (cepa Ascalonia), Zyperngras (ciperis), Saflor (cnecos), Kerbel (caerifolium), Kostwurz (costum), Haselwurz (asari), Ysop (hysopum), getrocknete Zwiebel (cepa arida), Knoblauch und Wermuth. Bei genauerem Nachzählen kommt man auf etwa 50 verschiedene Gewürze. Es schiene verwegen anzunehmen, daß nicht alle im Mittelalter verwendeten Gewürze bereits bei Apicius erwähnt würden, und doch gibt es einige wichtige, die wir in De Re Coquinaria noch nicht finden. Dazu zählen besonders die exotischeren Gewürze Zimt (cinnam[om]um), der allerdings öfters bei Plinius erwähnt wird, und Muskatnuß, aber auch der Salbei, der nur in der Gewürzliste der Exzerpte des Vinidarius vorkommt. An Flüssigkeiten und Gewürzsaucen finden wir bei Apicius am häufigsten das als liquamen bezeichnete garum, eine Sauce, die aus in Seewasser mit Gewürzen vergorenen Fischeingeweiden hergestellt wurde und Ähnlichkeiten mit Gewürzsaucen aufweist, die heute in der südostasiatischen Küche Verwendung finden (ca. 400 Mal), Essig (acetum: ca. 185 Mal), Honig (mel: ca. 200 Mal), passum - ein spezieller süßer Wein, der mit dem heute in der Toskana zu findenden Vinsanto praktisch identisch ist (ca. 70 Mal),  defritum - eine Art eingekochter Traubensaft (ca. 60 Mal), und natürlich Olivenöl (ca. 340 Mal) und Wein (ca. 175 Mal).

ANTHIMUS

Wir haben nur wenige Bindeglieder, die uns erlauben, eine Beziehung zwischen den Rezepten des Apicius und den ersten überlieferten Kochbüchern des Mittelalters vom Anfang des 14. Jahrhunderts herzustellen. Ein sehr wichtiges ist jedoch das kurze Traktat des Anthimus De Observatione Ciborum, ein Brief über die gesunde Ernährung an Theoderich den Großen, der aus dem sechsten Jahrhundert stammt. Wir finden darin vor allem Hinweise darauf, was zur Zeit des Anthimus als gesund und was als weniger bekömmlich galt. Leider gibt uns Anthimus wenig Auskunft darüber, wie man seine Speisen gefälligst zu würzen habe und damit fällt ein Vergleich mit der apicianischen Küche nicht leicht. An einigen Stellen finden wir zum Glück trotzdem Hinweise auf die Zubereitung der Gerichte, wobei Anthimus vor allem dafür plädiert, Fleisch nicht zu stark zu rösten, sondern entweder zu kochen oder aber bei schwacher Hitze im Ofen zuzubereiten. So schlägt er vor (De Obs. Cib. 3), Rindfleisch zu kochen und die Brühe dann mit Lauch, Poleiminze, Sellerie oder Fenchel, Essig, Honig, Pfeffer, Kostwurz, Narde, Gewürznelke und Wein zu würzen. An anderer Stelle gibt er eine Gewürzmischung für Hasen an, die aus Pfeffer, Ingwer, Nelken und Kostwurz besteht. Beide Gerichte erinnern stark an apicianische Gewürzzusammenstellungen, so finden wir zum Beispiel in De Re Coquinaria eine Sauce (embamma) für gegrillten Hirschbraten, die der eben beschriebenen Rindfleischbrühe ähnelt. Sie enthält Pfeffer, Nardenblüte, Selleriesamen, getrocknete Zwiebel, frische Raute, Honig, Essig, liquamen, Datteln, Rosinen und Öl. Eine ähnliche Sauce für gekochtes Kalbfleisch finden wir ebenso. Diese besteht aus Pfeffer, Liebstöckel, Wiesenkümmel, Selleriesamen, Honig, Essig, liquamen und Öl. Trotz der oberflächlichen Ähnlichkeit fallen jedoch einige markante Unterschiede ins Auge. Während Anthimus für das Rindfleisch eine echte Brühe herstellt, werden die Saucen des Apicius separat zubereitet und dann über das schon gare Fleisch gegossen. Nebenbei bemerkt wird liquamen als Gewürz von Anthimus strikt abgelehnt. Dies bedeutet aber auch, daß es zu seiner Zeit durchaus noch Verwendung fand. Euter (sumen) hingegen - den Inbegriff kulinarischer Köstlichkeiten im antiken Rom - verteidigt auch Anthimus als gute Speise, sowohl gegrillt als auch gekocht. Zu beidem finden wir auch ein entsprechendes Rezept bei Apicius. Von Interesse für uns ist noch die Erwähnung der Melonen, von denen Anthimus schreibt, einige Leute würden sie mit posca - einer Art antiker Limonade - und Poleiminze (puleium) essen. Ein solches Rezept gibt es in der Tat bei Apicius (3,7), der zur Herstellung eines Melonensalates als Zutaten Pfeffer, Poleiminze, Honig oder passum, liquamen und Essig angibt. Was wir aus diesen kleinen Einblicken schließen können, ist auf jeden Fall, daß die Rezepte, die uns in De Re Coquinaria erhalten geblieben sind, nicht unbedingt Resultat eines besonders extravaganten kulinarischen Spieltriebs waren, sondern zum großen Teil einen Einblick in die tatsächliche Ernährung zumindest der höheren Schichten bis ins sechste Jahrhundert hinein erlaubt. Auch Anthimus selbst gibt in der Einleitung seiner Schrift zu, daß derartige Diätvorschriften vor allem für die gehobeneren Gesellschaftsschichten bestimmt waren, denen Nahrungsmittel ja zum Überfluß zur Verfügung standen. Zwischen dem, was üblich war und den Vorschriften des Anthimus wird also noch eine entsprechend große Diskrepanz bestanden haben, denn sonst wäre diese Belehrung ja nicht notwendig gewesen. Wir dürfen uns in diesem Zusammenhang wieder daran erinnern, daß ja die uns erhalten gebliebenen Teile des apicianischen Kochbuchs wahrscheinlich aus dem vierten bis fünften Jahrhundert stammen. Daß sie bis zu den noch vorhandenen Handschriften - die früheste stammt aus dem neunten Jahrhundert - oft ediert, ergänzt, immer wieder geändert, diktiert und abgeschrieben worden sind, beweist nicht zuletzt ein kurzer Blick auf die Orthographie. Zum Glück haben die letzten Kopisten die apicianischen Rezepte offensichtlich so wenig verstanden, daß sie nicht wagten, am überlieferten Text auch nur einen i-Punkt zu ändern - jedenfalls nicht vorsätzlich - so daß uns die originalen Fehler, die zum Teil auf Hörfehler zurückgehen - und einige weitere dazu - erhalten geblieben sind. Als Beispiel möchte ich "oridia" aus dem zweiten Buch zitieren, womit eigentlich der Reis, also oryza gemeint war.

FAST 800 JAHRE OHNE KOCHBÜCHER

Nach der uns erhaltenen Ausgabe von De Re Coquinaria, den Exzerpten des Vinidarius und dem Traktat des Anthimus De Observatione Ciborum blicken wir, was die Geschichte der westeuropäischen Kochkunst betrifft, in einen tiefen und fast achthundert Jahre breiten Abgrund, in dem wir praktisch keine Kochbuchliteratur und auch nur spärliche Hinweise auf die Tafelfreuden unserer Vorfahren finden, bis wir plötzlich am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts ein reges Treiben in diesem Sektor feststellen, das bis heute nicht abgerissen ist.

ERSTE KOCHBÜCHER DES MITTELALTERS

Die meisten der bekannteren Kochbücher des 14. Jahrhunderts - so viele sind es ja nun auch nicht - stammen aus Deutschland und Frankreich. Es ist verständlich, daß sich die dort festgehaltenen Rezepte vor allem in Hinblick auf die Gewürze von den antiken unterscheiden. Während im antiken Rom offensichtlich auch viele verschiedene frische Gewürzkräuter in Verwendung waren, finden wir in den deutschen und französischen Kochbüchern viele Gewürzpulver und teilweise offensichtlich schon fertig vorbereitete Gewürzmischungen. Solche Gewürzmischungen kennen wir zum Teil schon aus dem ersten Buch von De Re Coquinaria, das eine Reihe von Vorschriften für die Zubereitung von Gewürzsalzen und Gewürzsaucen enthält, die wohl dafür vorgesehen waren, längere Zeit gelagert zu werden. Darüber hinaus sind die Gewürzmischungen unserer mittelalterlichen Köche untereinander oft sehr ähnlich.

TAILLEVENT

Das wohl berühmteste Kochbuch des 14. Jahrhunderts ist der von Taillevent (Guillaume Tirel), dem Hofkoch Karls des V und Karls des VI von Frankreich, verfaßte Viandier. Die bei Taillevent vorherrschenden Gewürze sind Pfeffer und Ingwer, Safran, Zimt, Kardamom (grainne de paradiz), Kümmel, Nelken, und Muskat, manchmal Zucker, den die Römer zwar kannten, aber wohl nur zu medizinischen Zwecken verwendeten (Plin. Nat.Hist. 12,32,5), sowie Salz, das auch in den apicianischen Rezepten nicht gerade selten vorkommt. Daneben finden wir oft eine fertige Gewürzmischung, die mit poudré d'espices bezeichnet wird. Als frisches Gewürz entdecken wir fast nur Petersilie. An Flüssigkeiten verwendet Taillevent den Essig (vin aigre) und verjus (eine ähnliche, nicht ganz so saure Zubereitung aus unreifen Äpfeln), aber auch Wein, und der apicianische Honig zum Süßen wird durch den moderneren Zucker ersetzt. Olivenöl erscheint in den Rezepten erstaunlich selten, statt dessen taucht aber ab und zu die bei Apicius gänzlich unbekannte Butter auf. Wir sehen uns bei aufmerksamem Durchlesen der Rezepte durchaus zu der Bemerkung veranlaßt, daß Taillevent eine große Zahl von Hauptgerichten immer gleich, nämlich mit Ingwer, Zimt, Kardamom, Pfeffer und Safran würzt. Diese Beschränkung auf wenige und meist getrocknete Gewürzkräuter hat wohl einerseits ihren Grund darin, daß einige der frischen Gewürze, wie z.B. Liebstöckel, Koriander, Minze und Oregano, in unseren nördlicheren Gefilden schwerer erhältlich waren als im antiken Rom, aber nur daran kann es nicht liegen, denn viele dieser Gewürzkräuter wären in Deutschland oder Frankreich sehr gut gediehen. Der Grund ist offensichtlich noch ein anderer, nämlich ein in Deutschland und Frankreich insgesamt weniger ausgeprägtes Interesse für die Verwendung frischer Gewürze. Und dieses ist - besonders in Frankreich - mit einer weitgehenden Normierung der gehobenen Kochkunst einhergegangen: alles soll überall und zu jeder Jahreszeit in gleicher Weise verfügbar sein. Dieser Grundsatz ist natürlich dort schwer einzuhalten, wo frisches Gemüse oder Früchte Eingang in ein Rezept gefunden haben.

DAS BUCH VON GUTER SPEISE

Etwas anders als bei Taillevent verhält es sich in dem ersten deutschsprachigen Kochbuch, dem um 1350 in Würzburg entstandenen Buch von guter Speise (Handschrift von De Leone). Das, was wir im Buch von guter Speise finden, würden wir eher als "gutbürgerliche Küche" bezeichnen. Wir entdecken zwar einige aufwendige Speisen, doch im Großen und Ganzen beschränkt sich unser Autor auf einfach zuzubereitende Gerichte. Olivenöl wird nur ein einziges Mal erwähnt verwendet, dafür stehen Milchprodukte - nämlich Milch und Butter - in hohem Kurs. Daß die Deutschen seit langem eine gewisse Vorliebe für Milch haben, entnehmen wir schon der Germania des Tacitus (23,1). Auch die Gewürze entsprechen eher der bürgerlichen Küche: Pfeffer, Salz, Ingwer, Safran, Salbei und Petersilie werden am häufigsten genannt. Wir finden aber auch Kümmel, Anis, Nelken, Zimt, Muskatnuß und einige andere, einmal sogar Hopfen für die Zubereitung von Met. Wir können beim genauen Hinsehen trotzdem einige erstaunliche Ähnlichkeiten mit Rezepten der antiken römischen Küche festmachen, und zwar besonders an einigen Pastetenrezepten. Bei Apicius finden wir im vierten Buch eine Reihe von Auflaufrezepten, von denen das markanteste wohl die Patina Apiciana (4,2,14) ist, die unseren mittelalterlichen Pastetenrezepten recht nahe steht (z.B. Buch von guter Speise 51 oder Liber de Coquina 10[5],6).

Darüber hinaus können wir feststellen, daß im Buch von guter Speise recht viele frische Früchte Verwendung finden: Süß- und Sauerkirschen, Pflaumen, Äpfel und Birnen und sogar Pfirsiche. An einer Stelle entdecken wir im Buch von guter Speise tatsächlich ein Birnenkompott, das uns aus De Re Coquinaria bekannt zu sein scheint und zwar unter dem Titel Patina de Piris (Birnenauflauf: 4,2,35). Die Herstellung ist einfach: man nehme Birnen, schäle sie, schneide sie klein und koche sie in Wein und Schmalz, passiere sie durch ein Tuch und lasse sie nochmals mit Eidottern aufkochen (Buch von guter Speise 81). Dasselbe Rezept findet sich auch im Liber de Coquina (10[5],6).

LIBER DE COQUINA

Ein weiteres, überaus interessantes Dokument zu dem Thema mittelalterliche Küche stellen zwei Traktate dar, die wahrscheinlich um 1300 auf Latein verfaßt wurde und die Titel Tractatus de Modo Preparandi et Condiendi Omnia Cibaria und Liber de Coquina tragen, das heißt: die Titel fehlen eigentlich in der Handschrift und wurde nur am Rand nachgetragen. Es scheint sich bei diesem Werk um zwei separate Abhandlungen über die Kochkunst zu handeln, die eventuell von zwei verschiedenen Autoren stammen, sicher ist dies jedoch nicht. Die Einleitung der ersten beginnt sehr erfrischend und vielversprechend mit den Worten:

"Als ich noch in der Blüte meiner Jugend stand, habe ich verschiedene Gegenden der Welt bereist und bin an verschiedenen und auch berühmten Hofhaltungen verweilt, natürlich vom Militär, von Äbten, Fürsten und Reichen, an denen ich viel und evrschiedenes von der Zubereitung unterschiedlicher delikater Gerichte gesehen habe, für die ich mich interessierte, und ich habe mir Mühe gegeben, alles auf die gebührende Weise zu beschreiben."

Beide Abhandlungen sind direkt aufeinander folgend in zwei Handschriften erhalten, die heute in der Bibliothèque Nationale aufbewahrt werden (lat. 7131, fol 94-99, lat. 9328, fol. 129-139, ediert: Marianne Mulon, Bull. philol. et hist., 1968). Die ältere davon enthält neben diesen zwei Kochbüchern ein Sammelsurium hauptsächlich medizinischer Traktate. Es findet sich darin jedoch eine weitere, sehr kurze französische Rezeptsammlung, die allgemein auf das Ende des 13. Jahrhunderts datiert wird.

Leider sagt der Autor trotz dieser Einleitung nichts über sich selbst und so wissen wir auch weder, um wen es sich handelt, noch, welche soziale Stellung er innehatte. Das Werk selbst ist deshalb so interessant, weil es einerseits eines der ersten uns erhalten gebliebenen Kochbücher des Mittelalters überhaupt ist und andrerseits weil es vom Inhalt her der antiken Küche am nächsten steht. Wahrscheinlich wurde es von einem Italiener, also sozusagen von einem Landsmann des Apicius, verfaßt. Dafür sprechen die außerordentlich vielen Italianismen,die in sein Latein eingeflossen sind. Die Rezepte, die wir in diesem Kochbuch finden, sind für die Zeit außerordentlich detailliert und enthalten außer einer Liste der Zutaten oft auch eine genaue Beschreibung der Zubereitung, die zum Teil sehr kompliziert werden konnte. Interessant ist auch die Einteilung der beiden Abhandlungen. Die erste beginnt - wie De Re Coquinaria - mit einer Darstellung verschiedener Methoden, verdorbene Weine aufzubessern und Gewürzweine und ähnliches herzustellen. Hier finden wir auch ein Rezept für Rosenwein, den auch Apicius bereits herstellte, wenn auch auf etwas andere Art. Bei Apicius wird allerdings auch Honig hinzugegeben, der bei unserem mittelalterlichen Autor in den Weinrezepten größtenteils fehlt: er verwendet ihn nur für die Zubereitung von claretum, einer speziellen Art süßen Gewürzweines mit Zimt, Ingwer und Nelken. Er kannte auch sapa, den bei den Römern oft verwendeten Mostsirup und gibt an, man solle zu seiner Herstellung frischen, süßen Most soweit einkochen, bis er so zäh werde wie Honig.

Nach dieser kurzen Behandlung der Weinpräparationen folgen die handfesten Gerichte, das heißt die Fleischzubereitungen, als erstes natürlich das seit den Römern beliebte Federvieh, angeführt von den Hähnchenrezepten, auf die die Rezepte für Gans und dann ein kollektives Rezept für alle anderen Vögel folgen.

Unsere Aufmerksamkeit wird sofort von dem ersten Rezept für gefülltes Hähnchen angezogen, denn dieses erinnert uns an das apicianische Rezept für Huhn mit flüssiger Füllung (pullus fusilis, Apic. 6,9,15), wenn auch die Füllung unseres mittelalterlichen Hähnchens etwas prosaischer ausfällt: hier wird das Hähnchen nur mit Hackfleisch, hartgekochten Eiern und Gewürzen gefüllt, während bei Apicius gekochte Grütze, Pinienkerne und Hirn hinzukommen, zudem verwendet er rohe Eier, damit die Füllung beim Kochen oder Backen fest wird. Beide würzen jedoch ausgiebig mit Pfeffer und Ingwer, Ysop, Petersilie und Salbei beziehungsweise Liebstöckel sowie Salz beziehungsweise liquamen.

Ein ähnliches Rezept finden wir in der zweiten Abhandlung. Dort wird ein Hähnchen zwischen Haut und Fleisch gefüllt. Auch diese Methode erinnert sehr an ein apicianisches Rezept für gefülltes Spanferkel, bei dem dem Spanferkel eine Gewürzmischung zwischen Haut und Fleisch gefüllt wird. Bei unserem mittelalterlichen Autor sind es nicht nur Gewürze, sondern Hackfleisch mit rohen Eiern und geriebenem Käse.

ANTIKE UND MITTELALTER

Vielen mittelalterlichen Rezeptsammlungen ist eigen, daß sie praktisch keine Anleitung zur Zubereitung der Gerichte geben, sondern - wie auch schon die meisten apicianischen Rezepte - nur eine Auflistung von Zutaten darstellen. Bei unserem, wohl aus Italien stammenden Autor des 13. Jahrhunderts, der sich getraut hat, die Zubereitung auch komplizierter Gerichte zu beschreiben, finden wir eine große Zahl von Übereinstimmungen mit bereits bei Apicius verwendeten Techniken. Im Mittelalter stellen wir eine Geschmacksveränderung besonders anhand der verwendeten Gewürze fest. Nicht mehr die typisch apicianische Gewürzzusammenstellung Pfeffer, Liebstöckel, Oregano und liquamen gibt den Ton an, sondern das Schwergewicht liegt mehr auf Pfeffer, Ingwer, Zimt, Kardamom und Salbei.

NACHWIRKUNGEN DER RÖMISCHEN KOCHKUNST

Um die Nachwirkungen der römischen Kochkunst - und somit der Kochkunst des Apicius - zu finden, sieht es also tatsächlich so aus, als müßten wir uns wieder nach Süden begeben. In Italien ist ein guter Teil der - eigentlich ja aus Griechenland importierten - antiken Kochkunst noch lebendig. So finden wir auch heute noch den römischen Süßwein, das sogenannte Passum im toskanischen Vinsanto wieder. Noch heute gibt es in Norditalien eine Art Würstchen, die als Luganega bezeichnet werden - bei Apicius hießen sie Lucanicae. Das, was uns Apicius als Aliter dulcia in 7,13,6 vorstellt, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als dasselbe Rezept, das auch für die Crescentine in der Emilia-Romagna verwendet wird, nur daß Crescentine meist mit Schinken, Mortadella oder Käse, nicht aber mit Honig gegessen werden. Das bei den Römern beliebte liquamen oder garum finden wir nicht in Italien, dafür aber in asiatischen Lebensmittelgeschäften wieder. Die Herstellung des vietnamesischen Nouc-Mam entspricht der des antiken Garum erstaunlich genau. Wenn man sich einmal selbst an der apicianischen Küche versuchen will, kann man daher liquamen gut durch Nuoc-Mam ersetzen.

SCHLUSSBEMERKUNG

Ich möchte jetzt statt mit einer Feststellung mit einer Frage schließen, mit der Frage, ob wir die Übereinstimmungen, die wir in den letzten zweitausend Jahren der Geschichte der Kochkunst feststellen, eher unserem Gaumen oder einem gewissen Traditionsbewußtsein unserer professionellen Vertreter der Kochkunst verdanken. Die Antwort auf diese Frage wird wahrscheinlich lauten müssen, daß es eine gesunde Mischung aus beidem ist.